Der Club der Pflichtimpfer
Gestern, am 20.1.2022, ist Österreich einem exklusiven Club beigetreten: Mit der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gehört es nun dem kleinen, aber feinen Kreis der progressivsten Musterdemokratien der Welt an: Vatikan, Turkmenistan, Indonesien, Mikronesien und Ecuador.
Die Dominanz dieser Festung gegen das Böse lässt sich gut auf der Weltkarte eines mdr-Artikels in Form der dunkelblauen Markierungen erkennen:
COVID-19 Stringency Index
Für einen allgemeineren Vergleich der Striktheit von Corona-Maßnahmen in unterschiedlichen Ländern wird an der Universität Oxford der sogenannte COVID-19 Stringency Index berechnet. Die errechneten Werte und eine Darstellung als Weltkarte ist verfügbar auf Our World in Data:
Auf der Webseite wird klargestellt: „Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass dieser Index nur die Striktheit von Regierungsmaßnahmen aufzeichnet. Er misst oder impliziert nicht die Verhältnismäßigkeit oder Effektivität der Maßnahmen in einem Land. Ein höherer Punktewert bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Antwort eines Landes 'besser' ist als die eines Landes mit einem niedrigeren Index.“ Auf Github wird erklärt, wie der Index berechnet wird.
Am unteren Rand der Weltkarte lassen sich im Download-Tab die Daten herunterladen oder unter Table die Werte einzelner Länder betrachten.
Deutschland ist Weltmeister
Lässt man Zwergstaaten aus, gehen die ersten Plätze (Stand 20.01.2022) an
Deutschland
Myanmar
China
Deutschland ist Weltmeister in der Striktheit seiner Corona-Maßnahmen, und seine politische Führung darf mit Stolz verkünden, dass sie in ihrer Autorität nicht hinter Ländern mit Einparteiensystem oder Militärdiktatur zurücksteht. Österreich schafft es trotz Impfpflicht nur auf Platz 23. Vielleicht ist der gestrige Impfpflichtbeschluss noch nicht eingerechnet worden.
Andere Länder
Eine weltweite Analyse der Impferfolge (allgemein, für besonders stark von Omikron betroffene Länder und für die deutschen Bundesländer) zeigt, dass noch in keinem Flächenstaat das Durchimpfen der Bevölkerung zur angekündigten Herdenimmunität und Eindämmung von Corona geführt hatte, im Gegenteil. Eine britische Untersuchung belegt, dass der vorhandene Impfschutz gegen symptomatische Verläufe von Omikron anfangs passabel ist, über die Zeit aber schnell absinkt und das Infektionsgeschen heute von den doppelt Geimpften dominiert wird.
Omikron bietet die Chance, von der pandemischen in eine endemische Lage überzugehen. So haben Länder mit umfangreicherer Covid-Erfahrung wie Israel und Großbritannien bereits die Alarmstufe gesenkt, schaffen die Covid-Impfpässe wieder ab und kehren langsam zum normalen Leben zurück. Laut COVID-Stringency Index sind folgende europäische Flächenstaaten am entspanntesten: Ungarn, Moldavien, Serbien, Dänemark, Finnland, Lettland und Tschechien.
Der deutsche Weg
Die deutsche Regierung hingegen bekämpft seit zwei Jahren mit aller Macht und den striktesten Maßnahmen weltweit vergeblich die Pandemie. Es wird das Konzept „Mehr desselben“ verfolgt: Eine Maßnahme die nicht erfolgreich war, wird weitergeführt, weil ihr Scheitern nur bedeuten kann, dass man sie nicht intensiv genug umgesetzt hat. Zu welchen Zuständen das führen kann, hat Paul Watzlawik schön in seinem sehr lesenswerten Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ beschrieben:
„Ein Betrunkener sucht unter einer Straßenlaterne seinen Schlüssel. Ein Polizist hilft ihm bei der Suche. Als der Polizist nach langem Suchen wissen will, ob der Mann sicher sei, den Schlüssel hier verloren zu haben, antwortet jener: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.“
Das wird begleitet davon, dass immer “die Anderen” am Scheitern der Maßnahmen Schuld sind: Erst die Ausländer, dann die Touristen, nun die Covid-Ungeimpften. Obwohl es ein in der deutschen Geschichte bewährtes Vorgehen ist, muss die Bezeichnung dafür aus dem Englischen entlehnt werden: “Othering”. Wikipedia führt die Konsequenzen auf:
“Die Vorstellung, dass sich die Fremdgruppe fundamental von der eigenen Gruppe abgrenzt und als nicht gleichwertig gesehen wird, führt zu einer Legitimierung von Ungleichbehandlung. Der als Othering beschriebene sozialpsychologische Mechanismus ist eine der Grundlagen für Diskriminierung von Minderheiten und von Verfeindungsprozessen zwischen verschiedenen Gruppen allgemein (z. B. ethnische Gruppen oder Religionsgemeinschaften).”
Das Othering der Ungeimpften wird von Staat und Medien im Einklang betrieben und die Geschichte zeigt, welchen Geschehnissen damit der Weg bereitet werden kann. Propagiertes Ziel ist die möglichst vollständige Auslöschung der Gruppe der Ungeimpften – wenn auch “nur” in Form von Impfung.
Jeden Montag gehen die “Others” und ihre Sympatisanten zu Hunderttausenden spazieren, ein friedlicher Minimalansatz zur Darstellung ihrer Unzufriedenheit. Wer diese in radikalisierender und kriminalisierender Weise darstellt (Omamörder, Verantwortungslose, Rechtsextreme) verschärft die Diskriminierung. Wer zu “Gegendemonstrationen” aufruft, spielt die Gruppen gegeneinander aus, gießt Öl ins Feuer und provoziert Eskalation. Teile (das Volk) und herrsche?
Es bleibt leider nur die traurige Feststellung, dass die Regierungen in Deutschland und Österreich für die nächsten zwei Jahre die Anwendung der bewährten erfolglosen Strategien unter Zwang weiterführen wollen und sich in ihrer Handlungsweise lieber an China und Myanmar orientieren als an westlichen Demokratien wie Großbritannien, Spanien und Israel. Deutsche Politiker verschiedenster Couleur kennen keine roten Linien mehr und gehen mit ihren Vorschlägen so weit, Bürgern ihre Existenzgrundlage zu entziehen, um sie zur „freiwilligen“ Impfung zu treiben, z.B. mit der Streichung von Rente oder Arbeitslosengeld.
Nichts wie weg?
Nach einer ersten Besichtigung eines Montagsspaziergangs aus der Ferne habe ich mich in den Folgewochen unter die Spaziergänger gemischt und mit ihnen gesprochen. Ich traf auf kein einziges der „Braunhemden“, die die gängige Mediendarstellung als Kern der Spaziergänge ausfindig gemacht haben will. Es ist nicht der Aufstand der Bildungsfernen und Verschwörungstheoretiker. Viele Mitbürger ziehen ihre Vergleiche mit der deutschen Vergangenheit oder erinnern sich aus ihrer ostdeutschen oder osteuropäischen Vergangenheit heraus noch daran, wie ein autoritärer Staat handelt. Viele empfinden Willkür, Bevormundung, Desinformation, Korruption und Angst und gehen auf die Straße. Und ich kenne eine ganze Reihe von Hochqualifizierten –Leistungsträgern unserer Gesellschaft– die ihre Konsequenzen ziehen und gerade die Koffer packen. Deutschland wird immer weniger attraktiv für Fachkräfte aus dem Ausland. Profitieren dürften Länder mit gemäßigteren Maßnahmen und besseren Arbeitsbedingungen, z.B. für Pflegekrafte: Schweiz, Dänemark, Schweden. Für Fachkräfte, die komplett vom Home Office aus arbeiten können, ist das Einkommen vom Wohnort unabhängig, und sie finden an vielen Orten in Spanien, Großbritannien, Schweden, Tschechien, Polen, Ungarn und Kroatien einen Lebensstandard vor, der vergleichbar ist mit Deutschland – oft zu niedrigeren Kosten und mit weniger Gängelung. Eine Win-Win-Situation für die Zielländer und ihre neuen Bürger.
Deutschland droht ein Brain Drain. Ob er als Kollateralschaden einer neuen politischen Ära in Kauf genommen wird?